Ganz viel Kohle und Dior

Rinus Van de Velde wäscht sich öfter die Hände als normale Menschen. Der Künstler zeichnet ausschließlich mit schwarzer Kohle. Seine Motive baut er als artifizielle Welten in seinem Atelier auf, um sie danach zu fotografieren und zu zeichnen. Das Charisma, das der junge Belgier über seine Kunst hinaus hat, begeistert auch Fotografen und Modehäuser, sodass er bereits in Dior-Homme-Kampagnen zu sehen war oder von Paul Smith höchstpersönlich fotografiert wurde.

Hast du ein Auto?

Ja, ich habe ein Auto, einen Audi A6 Kombi. Ich hatte immer kleine Autos in schlechtem Zustand, aber jetzt habe ich zwei Kinder. Also muss alles etwas sortierter sein. Jetzt habe ich mir ein anständiges Auto gekauft und ich bin glücklich damit.

Also ist es ein Familienauto und kein Fahrzeug, mit dem du Material für deine Kunst von A nach B fährst…

Genau, vorher hatte ich einen kleinen Van, um Baumaterial für meine Sets zu transportieren. Aber dann fiel mir auf, dass die Firmen ja auch anbieten, zu liefern. Ich musste das ja gar nicht selber machen! Und die fertigen Kunstwerke werden sowieso von professionellen Unternehmen viel sicherer transportiert.

Und die Fracht ist versichert.

Richtig! Also habe ich den Van verkauft und mir ein ganz normales Auto zugelegt. Ich wollte
ein bequemes Fahrzeug. Ich fahre gerne, nur um zu fahren, denn
ich kann währenddessen sehr gut nachdenken. Manchmal, wenn ich nicht weiterkomme, dann setze ich mich einfach ins Auto. Oft fahre ich dann in meinen Geburtsort, um meine alten Freunde zu sehen. Das ist eine Stunde hin und eine Stunde zurück. Vor allem auf dem Rückweg kann ich meinen Kopf ganz frei machen, dann ist es dunkel und leer auf der Autobahn. Dann höre ich ein Audiobook oder denke in Ruhe über meine Arbeit nach. Es gibt einfach keine Ablenkung, außer dass du auf den Verkehr achten musst. Ich habe neulich gelesen, dass Andre Agassi Interviews früher immer nur gegeben hat, während er Auto fuhr… wegen der Konzentration.

Es ist auch der einzige Ort, wo du richtig laut deine eigene Musik hören kannst, ohne jemanden zu stören.

Ja, das stimmt. Und du kannst laut singen.

Andererseits habe ich gehört, dass du nicht gerne ohne Grund verreist. Stimmt das?

Ja, aber das bezieht sich auf Fernreisen mit dem Flugzeug. So typische Urlaubsreisen eben. Ich würde zum Beispiel nie nach Indien reisen, nur um zu sehen, wie Indien ist. Ich würde dann eher ein Buch darüber lesen.

Indien ist sowieso zu bunt für dich.

Ja, das stimmt! Aber generell kann ich mich in meinem Atelier am besten entspannen. Viele Leute reisen woanders hin, um Ent- spannung zu finden. Ich will hier einfach nicht weg.

Und deswegen baust du dir ja auch deine Motive in dein Atelier und gehst nicht raus, richtig?

Ja. Hier bauen wir meine Installationen, die ich dann fotografiere und zeichne. Im Moment bauen wir aber, um zu filmen. Das machen wir seit einem Jahr und es wird noch ein weiteres Jahr dauern. Dann werde ich noch zwei Jahre filmen und schneiden. Am Ende soll ein ganzer Film entstehen, mit Erzählung und Untertiteln und allem drum und dran. Es wird eine eigenständige Arbeit sein, ist aber auch etwas komplizierter, als das was ich bisher gemacht habe. Bei einem Bild ist alles starr, wenn du filmst bewegen sich die Dinge. Andererseits gehen die Details der Installationen nicht mehr verloren, auch die Farben und Materialien, die ich nicht in der Kohlezeichnung festhalten kann. Der Film ist also auch eine Art der Dokumentation.

Zerstörst du die Installationen normalerweise, nachdem du sie fotografiert und gezeichnet hast?

Das habe ich früher immer gemacht. Aber dann kam es vor, dass wir zum Beispiel ein Auto gebaut hatten und einige Monate später brauchten wir wieder eins, wir hatten das andere aber schon entsorgt. Wir mussten also wieder von vorne anfangen. Um das zu verhindern, mietete ich eine Lagerhalle und die ist jetzt voll mit Pappskulpturen. Ich zeige sie jetzt auch gern in Installationen. Sie haben eine ganz spezielle Qualität.

Auf jeden Fall! Und es gibt auch sicher Käufer dafür. Du sprachst gerade von der Autoskulptur. Sind das eigentlich reale Autos, die du nachbaust?

Nicht direkt. Wenn ich ein Auto bauen will, schaue ich mir im Internet Bilder von Autos an, ich will die Autos aber nicht kopieren. Eigentlich baue ich Klischees. Die sehen so aus, wie ich mir ein Auto vorstelle, wenn ich ganz spontan daran denke. Es ist eine reduzierte Realität sozusagen – ohne Details, eher rudimentär aus den Hauptbestandteilen zusammengesetzt. Wenn du ein Auto aus Pappe baust, geht es um die Abstraktion der Wirklichkeit.

Kunst, die nicht die Realität deformiert, ist letztendlich langweilig.

Genauso ist das. Es geht nicht um Realität.

Kommen wir zur Mode. Du hast mit unterschiedlichen High- Fashion-Häusern zusammengearbeitet, wie kam es dazu?

Es fing damit an, dass der Fotograf Willy Vanderperre, der Kampagnen für Dior, Prada und jetzt gerade
für Calvin Klein fotografiert, auf mich zukam. Sein Freund und er sammeln meine Arbeiten und sie leben in Antwerpen, wie ich. Also fragte mich Willy eines Tages, ob er mich für die französische „Vogue“ fotografieren könne. Da war ich schon neugierig, also fuhr ich nach Paris ins Studio und schaute mir an, wie die Fotografen da arbeiten. Ich fotografiere mich ja auch oft selbst für meine Arbeiten, also wollte ich mal wissen, wie die Profis das machen. Nachdem es in der „Vogue“ war, haben die Leute von „L’Officiel“ angefragt. Dann fragte mich Paul Smith, er fotografierte mich persönlich. Das war wirklich eine schöne Erfahrung, er ist ein toller Typ. Da lernte ich eine ganze Menge. Dann folgten einige Kampagnen, wie für Dior Homme zum Beispiel. Ich fand es interessant, hinter die Kulissen zu schauen, aber irgendwann war das dann auch immer nur das Gleiche. Dann dachte ich, ok, ab jetzt mache ich Fashion Shoots nur noch für Geld, das ich in meine Kunst stecken kann! Persönlich bin ich gar nicht so interessiert an Mode. Ich trage immer das gleiche schwarze Sweatshirt von Dries Van Noten. Ich habe sieben davon, für jeden Tag eins.

Wegen der schwarzen Kohle, mit der du malst!

Genau, ich kann kein Weiß tragen. Alles, was weiß ist, wird innerhalb kürzester Zeit schwarz. Auch die Dinge um mich herum, wie die Tastatur des Laptops zum Beispiel.

In dem Dior Homme-Video wäschst du deine Hände. Wieoft machst du das am Tag?

Na schon so zwanzig mal bestimmt.

Und musst du auch jeden Tagvor dem Schlafengehen duschen, sonst wird dein Bett schwarz, oder?

Ja, alles ist immer total dreckig. Aber du bekommst es nie richtig ab. Wenn ich zum Friseur gehe, dann sage ich denen auch immer, dass sie sich keine Sorgen machen sollen. Es ist nur Kohle… In einem Museum in Lausanne läuft gerade eine Ausstellung, bei der Arbeiten von Rinus van de Velde ausgestellt werden (evtl. unter anderen) bis 28. Oktober 2018. Die nächste Ausstellung in Deutschland wird nächstes Jahr in der Berliner König Galerie zu sehen sein.

 

Autorin SABINE RÖTHIG

Erschienen in INTERSECTION Nr. 35

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