Der italienische Designer Andrea Grossi erschafft um sich herum alternative Welten, in denen sich Vergangenheit und Zukunft treffen. Wir sprechen mit ihm über die Findung alternativer Lösungen, die Angst vor dem „point-of-no-return“ und wieso er froh ist, Teil einer neuen Generation zu sein.
ANDREA GROSSI: EIN DESIGNER AUS DER ZUKUNFT
Wie kamst du zum Design?
Mit 14 Jahren trat ich offiziell in die Welt des Designs ein, als ich in meiner Heimatstadt Italien mit dem Grafikdesign-Studium begann. Schon von Kindheit an konnte ich mich für Design und Kreation begeistern. Später entschied ich mich dann, Grafikdesigner zu werden, und ich bin sehr zufrieden mit dem Weg, der mich hierher gebracht hat. Ich glaube, dass diese Mischung aus Grafik und Modedesign etwas ist, das tief in meiner Persönlichkeit verbunden und verankert ist.
Deine Kollektion hat eine starke Verbindung zur Straßen- sowie Biker-Kultur. Woher kommt diese Verbindung oder Inspiration?
Um ehrlich zu sein, kommt das nicht wirklich von der Straße, sondern von der Anwendung der Kraft eines Stereotypes. Einige Kleidungsstücke haben eine stake DNA, welche bestimmt Einstellungen übertragen. Diese Einstellungen mische ich, um etwas neues zu kreieren. Biker präsentieren für mich etwas starkes, sehr sexy und sehr männlich. Genau diese Art von Eigenschaften nehme ich, um daraus etwas neues zu erschaffen.
Entwirfst du quasi einen „future- biker“?
Ich mag es nicht, mich zu sehr mit bestimmten Kleidungsstücken zu identifizieren. In meiner nächsten Kollektion könnte ich einfach alles ändern, andere Materialien, andere Schnitte. Ich identifiziere mich gerne mit Ideen und Werten. Ich liebe die Idee, Technologien und Handwerkskunst, Futurismus und historische Kunst zu mischen. Ich glaube, dass Andrea Grossis Identität mehr darin liegt.
Wenn du diesen Biker der Zukunft entwerfen würdest, in welcher Welt würde dieser leben, wie würde diese aussehen?
Sicher in einer besseren Welt. Ich glaube fest an den menschlichen Fortschritt. Menschen sind momentan mit sehr vielen, schwierigen Herausforderungen konfrontiert, wie zum Beispiel die Umsetzung von Nachhaltigkeit. Was mich fasziniert ist, wie der Mensch immer in der Lage ist und war, innovative und geniale Lösungen zu finden. Ich hoffe man denkt irgendwann mal an unsere Generation als eine Generation, die unseren Planeten in einer schwierigen Zeit ohne große technologische Ressourcen retten kann. Ich glaube, dass die Welt jeden Tag ein besserer Ort sein kann.
Das Thema Zukunft beschäftigt dich wie viele andere in der aktuellen Situation. Du versuchst, nachhaltige Lösungen zu finden, wodurch deine Kollektionen nicht nur optisch zukunftsorientiert wirken, sondern im Inneren auch tatsächlich sind. Viele deiner Kleidungsstücke bestehen aus Rhabarber- oder Olivenleder. Wie kamst du dazu?
Meine Designidee wurde mit dem Gedanken geboren, Lösungen für die aktuellen Probleme in der Mode zu finden. Nachhaltig zu arbeiten ist die Grundlage dessen, was ich tue. Dank der Premiere-Vision-Partnerschaft konnte ich die innovativsten Unternehmen in Europa im Hinblick auf nachhaltiges Leder finden. Ich entschied mich, nur pflanzliches Leder zu verwenden, welches die richtigen Eigenschaften mitbringt, um in Italien in den besten Lederwarenfirmen behandelt zu werden. Diese Mischung aus Handwerkskunst und Innovation war der Schlüssel für diese gesamte Forschung.
Dieses Leder nimmt einen großen Teil in deiner Arbeit ein. Wie- so ist Leder ein so essenzielles und wichtiges Material für dich?
Leder ist für meine Karriere als Designer von fundamentaler Bedeutung, da ich in der Toskana, der Welthauptstadt der Lederverarbeitung, studiert und ver- standen habe, was Handwerkskunst und savoir-faire wirklich bedeuten. Ich erkenne aber, das Leder heutzutage aufgrund der hohen Umweltbelastung ein schwerwiegendes Problem ist. Deshalb habe ich mir zum Ziel gesetzt, Leder bestmöglich zu verarbeiten, mit der Unterstützung großer italienischer Produktionsunternehmen. Ich will versuchen, einen neuen Wert für Innovation und Nachhaltigkeit in der Herstellung in Italien zu schaffen.
“Biker präsentieren für mich etwas starkes, sehr sexy und sehr männlich”
An deiner Arbeit ist allerdings nicht nur das spezielle Leder auffällig, sondern auch der hyperrealistischen Druck, den du verwendest, welcher die menschliche Haut auf erstaunliche Art und Weise nachahmt. Was fasziniert dich an dieser Ästhetik?
Ich bin fasziniert von der Idee, sich selbst zu erschaffen. Eine bessere Version von uns selbst, vom Aussehen über den Charakter bis zu unseren Werten. Ich denke, das ist die Essenz des Lebens. In diesem Prozess stelle ich mir eine zukünftige Ge- sellschaft vor, in der jeder die Version erstellen kann, die er am meisten von sich selbst sehen möchte. Die Idee ist, dass man durch das Tragen meiner Klei- dung die Haltung hat, von der man träumt.
In dieser zukünftigen Gesellschaft wird das Thema Nachhaltigkeit und Lösungsfindung auch in der Modebranche weiter eine Rolle spielen. Wieso ist es so relevant, insbesondere in der Mode Lösungen zu finden? Wo siehst du hier den Ansatz?
Nachhaltige Lösungen zu finden betrifft derzeit, glaube ich, alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Veränderungen auf vielen Ebenen stattfinden. Ich denke, es ist wichtig, Designer, Lieferanten, aber auch Verbraucher, einzubeziehen. Es muss eine Bewegung der Gedankenentwicklung sein. Der eigentliche Wendepunkt in diesem Sektor ist Innovation und Kreativität in der Schaffung von Lösungen.
Der Kontrast zwischen Vergangenheit und Zukunft ist ein präsentes Thema in deiner Arbeit. Inwiefern spiegelt sich das in deinen Kollektionen wieder?
Die Mischung aus Vergangenheit und Zukunft schafft unsere Gegenwart. Also ja, auch auf ästhetischer Ebene ist es sehr wichtig, etwas zu erschaffen, das eine Kreuzung zwischen diesen beiden Zuständen darstellt und quasi eine neue Version der Gegenwart erscheinen lässt.
Wenn du jetzt in die Zukunft blickst, wo siehst du die mobile oder auch technologische Zukunft unserer Welt? Und wo trifft diese auf die Mode?
Mode ist nichts anderes als ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben. Somit ist dies der Schlüssel zum Wandel im Bereich Technologie und Innovation. Ich glaube das die zu- künftigen Unternehmen, in der Lage sein werden, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und Arbeitsmethoden umzusetzen, welche dann die führenden Unternehmen des nächsten Jahrzehnts sein werden. Für uns scheint diese Technologie der Zukunft oft etwas Gefährliches oder Utopisches zu sein, aber ich denke, dass dieser techno- logische Fortschritt fantastische Veränderungen mit sich bringen wird. Von der Art und Weise, wie wir essen, bis hin zu unserer Kleidung.
Dein Blick in unsere Zukunft ist sehr optimistisch, hast du trotzdem Angst vor dem Klimawandel und dem Teil, den wir momentan dazu beitragen, beziehungsweise den wir über Jahrzehnte hinweg dazu beigetragen haben?
Ja, ich glaube, dass wir uns einem Punkt nähern, an dem es zu spät ist, umzukehren. Gleichzeitig bin ich aber froh, Teil einer neuen Generation zu sein, die alles tut, um diese Gesellschaft zu einen Besseren zu wenden. Ich bin optimistisch und glaube, dass die menschliche Gesellschaft, die sich aus jungen Menschen wie uns zusammensetzt, am Ende den Weg und die Lösungen für eine bessere Zukunft finden wird.
Intersection #43
Interview: Carolin Becker
Credit: Andrea Grossi