Oliver Masucci, Jahrgang 1968, geht immer bis ans Limit, ob nun als Schauspieler oder im Leistungssport. In “Er ist wieder da” machte er sich in seiner Rolle als Adolf Hitler zur Projektionsfläche der diffusen Ängste der Deutschen. Auf dem Fahrrad am Berg sehnt er sich nach dem Endorphinausstoß. Ein Gespräch über Deutschland, das Theater und die Rückkehr in die Natur.
Oliver Masucci: Zurück zur Natur
Oliver, du bist ein begeisterter Fahrradfahrer, woher kommt diese Passion?
Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich von meinem Kinderfahrrad die Stützräder abgemacht bekam und plötzlich ohne fahren konnte. Das war auf einem Parkplatz in Bonn. Mein Onkel Arturo sollte aus London zu Besuch kommen. Ich war so stolz, endlich richtig fahren zu können, dass ich mich stundenlang nicht getraut habe, abzusteigen. Aus Furcht, es später nicht mehr zu können.
Was ist am Fahrradfahren so besonders?
Es muss aus der eigenen Kraft heraus bewegt werden. Man erarbeitet sich alles selber. Wie beim Segeln, Skateboarden oder Skifahren. Man verbrennt unglaublich viel Kalorien, ähnlich wie beim Bergsteigen. Außerdem ist es in der Stadt das schnellste Verkehrsmittel, wenn man ein gutes hat. Man braucht eine gute Übersicht, gute Bremsen und kann herrlich über rote Ampeln düsen, während der Typ in seinem Sportwagen an der Ampel stehen bleiben muss. Du fährst nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Natur und am Berg. Wie fühlt sich dieser Moment an, ans Limit und darüber hinaus zu fahren? Die Frage ist, wie lang man am Limit fahren kann. Es fühlt sich immer wieder gemein an. Dann die Hoffnung, dass dieser scheiß Berg auch irgendwann ein Ende hat. Die Überwindung der Massenträgheit. Totale Konzentration auf Funktionserhaltung. Fokussierung. Selbsthypnose… So in der Art fühlt es sich an.
Was für ein Fahrrad fährst du am liebsten?
Ich bin so ziemlich alles gefahren und am Ende ist so ziemlich alles geklaut worden. Als Kind habe ich sie mir aus Schrott selber zusammengebaut. Heute fahre ich am liebsten Fullys von Cannondale. Ich hatte bisher vier verschiede- ne von denen. Im Moment das Jekyll aus Carbon, hinten mit zwei Dämpfern mit 90mm und 160mm Federweg, eine abschaltbare Lefty vorne mit ebenfalls 160mm. Generell sind verschiedene Räder für verschieden Aufgaben gut. Vor allem ein ganz hässliches für die Stadt. Eins, das richtig scheiße aussieht, aber super ausgestattet ist. Eins das keiner klauen will.
Was haben eigentlich Fahrradfahren und Schauspiel miteinander zu tun?
Gar nix und das ist ja genau das Gute daran. Aber der Sport hat mir geholfen, die Strapazen auf der Bühne zu überstehen. Es machen nur wenige meiner Kollegen Sport, weil man schon als junger Schauspieler jeden Tag auf den Brettern steht, viel lernt, aber auch komplett durchgenudelt wird.
Hast du früher einmal daran gedacht, Leistungssport als Beruf zu machen?
Nicht wirklich. Ich habe auf hohem Niveau Tennis, Basketball und Football gespielt, letzteres in Bonn sogar in der Ersten Bundesliga. Aber mir war früh klar, dass ich meinen Körper nicht kaputt machen wollte, außerdem wollte ich, seit ich 12 Jahre alt bin, Schauspieler werden.
Wie hat der Sport deinen Körper verändert, wie deine Körperlichkeit als Schauspieler?
Der Sport hat aus mir einen Athleten gemacht. Das hat lange gehalten. Ich habe immer sehr körperlich gespielt. Ich mag es, wenn die Schauspieler sich verausgaben. Ich mag auch schöne Körper, die durch einen Sport entstehen, der irgendetwas mit Natur zu tun hat.
Das Theater kann sehr extrem sein, wurde es dir jemals zu viel?
Das nicht, aber ich habe eine lange Zeit jeden zweiten Tag auf der Bühne gestanden, in Stücken die mal locker sechs Stunden gingen, einmal sogar zwölf. Da war ich oft am Limit. Da war ich auch manchmal über dem Limit. „Er ist wieder da“ zu spielen, war auch so eine Erfahrung. Neun Monate durch Deutschland reisen, lauter Wahnsinnige treffen und denen Hitler vorzuspielen… Schluss war erst, als ich mir abends die Maske vom Gesicht gerissen habe. Das war schon eine extreme Erfahrung.
"Neun Monate als Adolf Hitler durch Deutschland zu Reisen war extrem."
Es heißt immer, man müsse den Menschen zuhören. Was hast du als Hitler auf deiner Deutschlandreise erfahren?
In meiner Rolle als Hitler war ich in zahlreichen Kleinstädten, einmal in einer Kneipe, die hieß Das Deutsche Haus. Die war leer und ich habe in meiner Rolle gefragt, woran das denn läge? Die Besitzerin sagte mir, das läge an Aids, das die Ausländer übertragen haben. Ja wie viele Ausländer es denn am Ort gäbe? Da sagte sie nach längerem Überlegen: zwei. Bei anderen heißt es: Die Schwulen, die Juden, die Neger, die mag man nicht, die sollen wieder weg. Natürlich klingt das aussichtslos. Aber viele Menschen sitzen auf dem Land und fühlen sich allein gelassen. Da kommt keine Merkel hin und erklärt, warum wir die Flüchtlinge jetzt aufnehmen müssen oder warum einer so wenig Geld verdient. Man muss sich um diese Leute kümmern, ihnen erklären, dass der starke Mann keine Lösung ist, dass dies das Ende der Meinungsfreiheit bedeuten würde und Zustände wie in Ungarn, wo man den Job verlieren kann, wenn man in der falschen Partei ist.
Du meinst, es wird schon alles wieder?
Auf keinen Fall! Natürlich macht mir diese Entwicklung große Sorgen, das kann ich nicht oft genug sagen. Ich glaube nur, dass wir die bürgerliche Mitte, die sich mehr und mehr den Rechten zuneigt, zurückgewinnen und überzeu- gen müssen. Wir müssen sie vor den Verführern warnen und ihnen die von der AfD und anderen geschürten Ängste nehmen. Sonst gerät die Demokratie in Gefahr.
Du hast für deine Rolle als Hitler sehr viel Gewicht zugenommen. War das für dich als sehr trainierter Mann frustrierend?
Klar, aber das musste sein. Ich hätte mit einer Gesichtsprothese auf dem Marktplatz einfach nicht glaubwürdig ausgesehen. Am Ende hat mir das ei- nen Bandscheibenvorfall eingebracht. Das war schon hart. Aber ich habe mir das Gewicht in drei Monaten wieder runtertrainiert, auch mit Spezialtraining und Klettern. Ich war sehr diszipliniert im Aufessen aber noch disziplinierter im Abtrainieren. Aber ich war richtig froh, als ich wieder Sport machen durf- te. Dieses Gefühl von Glückseligkeit, wenn man drei Stunden auf dem Rad in den Bergen gesessen hat, das ist unbeschreiblich.
Du scheinst eine besondere Beziehung zu den Bergen zu haben.
Absolut. Aber das ging erst relativ spät los während eines Engagements in der Schweiz. Wenn du ständig probst und alle zwei Tage eine Vorstellung spielst, dann fällt es sehr schwer, aus der Theaterglocke herauszukommen und den Kopf freizukriegen. Das ist psychisch unheimlich belastend. In den Bergen habe ich wieder Kontakt zum Boden, zum Wald, zu diesem wundervollen Geruch der Natur aufgenommen. Das Tolle am Berg ist, dass jeder Schritt, den du gehst, existenziell ist. Es geht immer steil runter, du musst dich ex- trem darauf konzentrieren, dass du keine Fehler machst und überlebst. Das zentriert den Kopf auf eine existenzielle Art und Weise. Dieser Bezug fehlt den meisten Schauspielern und das macht sie unglücklich. Davon bin ich fest überzeugt. Mach das Mal, steig acht Stunden rauf und dann wieder herunter. Der Endorphinausstoß ist gewaltig. Den bekommst du nicht, wenn du nach den Proben in der Stadt von einer Bar zur anderen ziehst.
Interview: Ruben Donsbach
Fotos: Stefan Dotter
Styling: Sina Braetz
Haare und Make-Up: Patrick Glatthaar mit Produkten von Bobbi Brown und Davines
Dieser Beitrag ist erschienen in der INTERSECTION Nr. 27.