Eine gute Tragödie lebt von der Fallhöhe der Hauptfigur. Cadillac, Titan der US-Automobil-Ikonen , stürzte vom gigantomanischen Konsum-Heilsbringer in die Tiefen der Bedeutungslosigkeit. Wir blicken zurück auf über ein hundert Jahre rasanter Berg- und Talfahrten des Ur-amerikanischen Automobils und zeigen die wichtigsten Concept Cars der Firmengeschichte. Eine Story mit Happy End?
Cadillac Design: Lost Highway
Der amerikanische Traum. Luxus, Fortschritt, Überfluss. Ruhm. Für jede Stufe auf dem Weg vom Tellerwäscher zum Millionär wollte der Über-Konzern General Motors eine passende Marke im Portfolio haben. Und auf der obersten Sprosse der Erfolgsleiter stand seit jeher Cadillac, einer der ältesten Autohersteller überhaupt.
Von Anfang an setzt Cadillac Maßstäbe im Luxussegment: der erste V8 in Großserie, elektrischer Anlasser als Standardausstattung. Als Cadillac auf der New Yorker Automobile Show 1930 den ersten Serien-V16 vorstellt, spielt die General-Motors-Marke nicht nur technisch in der ersten Liga – als erster Autohersteller leistet man sich in Detroit mit der „Art and Colour Section“ unter Leitung von Harley Earl eine eigene Design-Abteilung. Damit vollzieht sich ein Wendepunkt in der Automobilgeschichte. Das Auto war keine motorisierte Kutsche mehr, von den Fließbändern der Hersteller liefen nicht mehr nur Fahrgestelle mit Motoren, die von Karossenbauern wie Fleetwood oder Fisher mit Dutzenden verschiedenen Aufbauten versehen wurden. Mit der Gründung einer eigenen Design-Abteilung und der schrittweisen Integration der ehemals unabhängigen Karosseriehersteller erfindet sich das Automobil neu. Form und Funktion finden sich plötzlich unter einem Dach.
Und Cadillac geht auch den nächsten Schritt vor der Konkurrenz: Chef-Designer Harley Earl erkannte als erster den PR-Wert von Concept Cars und die Notwendigkeit, die unterschiedlichen Marken des General-Motors-Konzerns durch eine differenzierte Designsprache voneinander zu unterscheiden. Harleys Team ist es, das mit einem ästhetischen Coup ein ganzes Jahrzehnt Auto-Geschichte beherrschen sollte: Von einem kleinen Stummel wurde die Heckflosse im Verlauf der 50er-Jahre zu einem bis ins Groteske überhöhten Stilelement und festes Markenzeichen Cadillacs. Es ist das Zeitalter der Dream Cars, luxuriöser, chromblitzender überdimensionaler Star-Wars- Straßenkreuzer mit riesigen V8-Motoren. Elvis Presley besingt seinen pink Cadillac und als Eisenhower 1953 zur Amtseinführung über die Pennsylvania Avenue chauffiert wird, winkt er den Kameras aus einem der ersten Eldorado Convertible zu.
Manche Cadillac-Modelle gab es in über 200 Farbkombinationen zu ordern, als Sonderausstattung Fernbedienungen für den Kofferraum, Parfümzerstäuber, vergoldete Trinkbecher und PS-Zahlen jenseits der 300. Cadillac symbolisierte den Rausch des Überflusses und fast naiven Fortschrittsglaubens jener Zeit wie keine andere Marke. Stilistisch findet die Zeitenwende schon Mitte der 60er-Jahre statt. Die stilprägende Heckflosse bleibt bei den meisten Cadillac-Modellen bis in die Gegenwart mit senkrecht stehenden Rückleuchten angedeutet, ebenso der gepfeilte, dominante Kühlergrill. Doch mit neuen klaren Linien und Kanten verabschiedet sich Cadillac vom üppigen Barock der Harley-Jahre. Die Leistungsdaten steigen weiter: Anfang der 70er-Jahre bringt es der meistverkaufte Cadillac, der Sedan de Ville, auf 5,7 Meter Länge, enorme 7,7 Liter Hubraum, über 400 PS und bis zu 2,5 Tonnen Gewicht. Cadillacs Interpretation von Luxus war schiere Größe. Doch dann kommt mit den Ölkrisen ab 1973 der große Wendepunkt für die amerikanische Automobilindustrie. Die Absatzzahlen brechen ein, Motoren und Karossen schrumpfen, während die europäische Konkurrenz, allen voran Mercedes, den amerikanischen Luxusmarkt mit leichteren und sparsameren Modellen aufrollt.
Die überdimensionierten Straßenkreuzer wirken wie Saurier aus einer anderen Zeit. Es folgen zwei verlorene Jahrzehnte, in denen es der Marke nicht gelingt, dem eigenen Anspruch „Standard of the World“ gerecht zu werden. Mit mutlosen Modellen versteckt sich die einstige Glamour-Marke im GM-Portfolio. Erst mit der Jahrtausendwende wagt Cadillac, mit dem Rücken zur Wand, den überfälligen Neustart.
Als 1999 der messerscharf gezeichnete Evoq einen Ausblick auf die „Art and Science“-Designphilosophie kommender Modelle gibt, laufen Cadillac-Traditionalisten Amok. Vorbei die bequeme Behaglichkeit in der konservativ-biederen Komfort-Zone. Cadillac hat erkannt, dass Luxus ein Statement ist. Und Statements sind nur relevant, wenn sie polarisieren. Alleine das Timing ist ungünstig. Folgt dem Marken-Relaunch doch eine der schwersten Rezessionen. Der Mutterkonzern GM beginnt zu trudeln, schlittert in die Insolvenz – und überlebt. 5 Jahre später schreibt Cadillac im ersten Quartal 2013 die besten Verkaufszahlen seit 1976. In Detroit hat man die Auffahrt zum Highway wiedergefunden. Zuerst soll es nach Asien gehen. Und dann nach Europa.
Text: Alexander Batke-Lachmann
Bilder: GM