Flower-Power auf die feine englische Art.
Rolls auf Acid: John Lennons Phantom V
Im Jahr 1965 waren die Beatles auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Der ohrenbetäubende Jubel und die Massenhysterie der vor allem weiblichen Fans bei ihren Konzerten trieb daher die Band weg von Live-Auftritten hinein in die Studios. Die Gruppe war außerdem gerade dabei, ihren zweiten Spielfilm Help! zu veröffentlichen. Und es waren nur noch einige Monate bis zur Premiere von Rubber Soul, dem vielleicht lyrischsten Album der Beatles. Am 3. Juni 1965 – derselbe Tag, an dem Edward H. White die Raumfahrkapsel Gemini 4 verließ, um als erster Amerikaner einen Weltraumspaziergang zu unternehmen – nahm John Lennon etwas wirklich Besonderes in Empfang: einen Rolls-Royce Phantom V im Farbton Valentine Black. Später erklärte er, dass er immer schon ein exzentrischer Millionär sein wollte und der Phantom ein wichtiger Schritt zur Erfüllung dieses Traums war. Exzentrisch war John Lennon tatsächlich – zudem scharfsinnig und äußerst humorvoll. Auch als die Beatles 1963 vor Queen Mother und Princess Margaret spielten, hielt Lennon seine Zunge nicht im Zaum: „Die Leute auf den billigen Plätzen klatschen bitte – und der Rest kann mit seinem Schmuck klappern.“ Der Beatle räumte später ein, dass die Bemerkung vorher geplant war: „Ich war unglaublich nervös, aber ich wollte etwas sagen, um zu rebellieren.“
“When his rolls royce was mobbed by fans the chauffeur said:
''do you want me to get them off the car?''
and Lennon replied: ''No - they paid for it, they can wreck it”
- John Lennon
Als im April 1967 die Aufzeichnung des bahnbrechenden Albums Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band beendet war, fragte Lennon bei dem englischen Coachbuilder JP Fallon an, ob dieser dem Phantom nicht eine neue Lackierung verpassen könnte. Das von Lennon gewählte Farbschema wird heute häufig als psychedelisch bezeichnet, und tatsächlich erwecken die Farben diesen Eindruck, vor allem das dominante Gelb. Bei genauem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass es sich nicht um zufällige Strudel handelt, sondern um ein blumig-romantisches Design, wie es bei den Wohnwagen von Landfahrern und bei Kanalschiffen verwendet wird – einschließlich einem Tierkreissymbol auf dem Dach. Aber schon zuvor hatte John Lennon den Phantom V an den Stil eines echten Rockstars angepasst. Die Rücksitze waren gegen ein Doppelbett getauscht worden. Zudem wurden ein Fernseher, ein Telefon, ein Kühlschrank, ein Plattenspieler sowie ein kundenspezifisches Soundsystem installiert.
Wer gedacht hatte, die Beatles – speziell John Lennon – wären zu diesem Zeitpunkt gezähmt, wurde mit Fahrzeugausstattung und -lackierung eines Besseren belehrt. So schrie zum Beispiel eine wütende Passantin beim Anblick des Phantom V: „Du Schwein! Wie kannst du das bei einem Rolls-Royce machen?“ Dabei griff sie den Beatle mit einem Regenschirm an. Es gibt widersprüchliche Aussagen darüber, woher die Inspiration für das neue Erscheinungsbild des Phantom V kam. Lennons erste Frau Cynthia behauptete in ihrer Autobiografie: „Die Idee kam ihm [John], als er einen alten Landfahrer-Zug für den Garten kaufte.“ Andere Quellen besagen, dass es Marijke Koger vom niederländischen Kunstkollektiv The Fool war, die auch die Kleidung und lackierten Instrumente für die Beatles entwarf. Sie soll das Farbschema nach dem Beobachten eines Landfahrer-Zugs vor Lennons Haus in Weybridge vorgeschlagen haben. Lennons Chauffeur Les Anthony glaubte dagegen, es wäre Ringo gewesen, der die Idee hatte, nachdem er an einem Jahrmarkt verbeigekommen war. Erschaffen wurde das Design von dem lokalen Künstler Steve Weaver, der von JP Fallon für 290 Britische Pfund (knapp 5.000 Britische Pfund heute) beauftragt worden war. Das Ergebnis wurde noch vor dem weltweiten Release von Sgt Pepper am 1. Juni 1967 enthüllt und wirkte wie ein Bestandteil des Albums. Alltägliche Konventionen wurden auf den Kopf gestellt – nicht nur mit dem Rolls-Royce, sondern auch mit den militärischen Uniformen der Beatles auf dem Cover. Natürlich wollte Lennon mit dem Design rebellieren. Zum Teil zumindest, denn Hunter Davies weist in The John Lennon Letters darauf hin, dass John Lennon die Kunstschule besuchte. Oft beschäftigte er sich mit Zeichnungen oder Kritzeleien, doch der Beatle war auch mit den anarchischen Bewegungen wie Dadaismus und Situationismus vertraut. Der Phantom V war bei John Lennon bis 1969 regelmäßig im Einsatz (er besaß überdies auch einen etwas weniger auffälligen weißen Phantom V). Noch vor der Farbänderung wurde das Fahrzeug unter anderem dazu genutzt, um mit den Bandmitgliedern zur MBE-Verleihung vorzufahren – und um den Orden aus Protest gegen den Vietnamkrieg 1969 wieder zurückzugeben. Als Lennon 1970 in die USA zog, nahm er den Phantom V mit. Hier wurde er regelmäßig an Rockgrößen wie die Rolling Stones, Bob Dylan und The Moody Blues verliehen. Nach seiner vorübergehenden Stilllegung wurde das Fahrzeug 1977 an das Royal British Columbia Museum in Victoria, Kanada, gespendet. Jetzt, exakt 50 Jahre seit Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band, kommt der farbenfrohe Phantom nach Hause. Er ist vom 29. Juli bis 2. August 2017 als Teil der Rolls-Royce Ausstellung „The Great Eight Phantoms“ bei Bonhams in der New Bond Street in London zu bewundern.