IN SEINEN ARBEITEN THEMATISIERT DER KÜNSTLER SHI JINSONG DEN CLASH ZWISCHEN CHINESISCHER TRADITION UND DER WESTLICH BEEINFLUSSTEN MODERNE. EIN BEISPIEL SIND CHROMGLÄNZENDE SUPERCHOPPER, DIE AUF TRAKTOREN BERUHEN
TRANSZENDENZ MASCHINEN
Film Still, Shi Jinsong, HALONG-KELLONG OF HT DABEIZHU, 2006
Einer der in Europa weniger bekannten, aber sehr sehenswerten chinesischen Künstler heißt Shi Jinsong. Auch er erhebt – ähnlich wie Ai Weiwei- den Kulturclash seines Herkunftslands zum Thema seiner Arbeiten. Die chinesische Tradition, die Zeit Maos und der westliche Kapitalismus – das alles verwebt sich in seiner Kunst zu einem dichten und faszinierenden Netz aus Verweisen und Anspielungen, aus Kritik und Analyse.
Für INTERSECTION besonders interessant ist seine Arbeit „Halong Kellong“ (Auf Deutsch „Hallo Klon“). Shi Jinsong baute für sie chromglänzende Superchopper, die aussehen, als wären sie aus dem Weltall auf die Erde gebeamt worden. Im Kontrast zu ihrem martialisch, extraterrestrischen Look haben Shi Jinsongs Gefährte einen ganz weltlichen Ursprung: Die Bikes basieren nämlich auf den Traktoren der einfachen chinesischen Bauern und Landarbeiter. Sie sind in Wahrheit weder schnell noch übermäßig kräftig, sondern mehr oder weniger alltagspraktische, günstige Arbeitshilfen. Hinter dem Fahrersitz eines von Shi Jinsongs Gefährten ist als ironische Anspielung auf ihre Herkunft sogar ein Topf montiert, in dem Reis geköchelt werden kann. Dass die Fahrer passend zum glatt glänzenden Stahl surreale Muskelanzüge tragen, als wären sie einem Marvel-Comic entstiegen, ist – genau wie das Halong-Kellong-Logo, eine abgewandelte Version des Harley-Davidson-Schriftzugs – natürlich auch ein augenzwinkernder Kommentar auf die Kopierlust der Chinesen, beziehungsweise ihr Image im Ausland als die Copycats der Welt.
Im Museum Marta Herford war ein Video zu sehen, in dem die Superhelden-Bikergang in der Schrittgeschwindigkeit durch das chinesische Hinterland tuckert. Darüber spielt ein traditionelles chinesisches Volkslied, das auch die meisten jungen Chinesen nicht mehr verstehen, weil die Sprache, in der es gesungen wird, fast vergessen ist. In das Volkslied mischen sich elektronische Beats, wie man sie in einer Bar in Shanghai, New York oder Berlin finden kann. Auch hier versucht Shi Jinsong die tiefe Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen westlicher Popkultur und jahrhundertealter Tradition zu schließen. Nicht verwunderlich ist vor diesem Hintergrund, dass der Künstler Kung-Fu-Meister mit einem hohen Grad sein soll. Nik Nowak erzählte uns im Interview, dass Shi Jinsong in einer Bar mal eine Gruppe von chinesischen Mafiosi niedergestreckt haben soll, nachdem sie ihm seine Kamera abnehmen wollten, mit der er in der Bar Fotos gemacht hat. Er sei Künstler, er dürfe das, hat er gesagt, bevor er sie in die Flucht schlug. Im Westen setzen wir den Begriff Kung-Fu mit Kampfsport gleich. Das ist nicht ganz falsch, doch in der alten chinesischen Tradition steht er auch dafür, eine Sache mit Ausdauer, Geduld und Energie zu lernen und zu beherrschen. Vielleicht sind die verchromten Alienchopper, seine Kunst und sogar die Person Shi Jinsong in diesem Sinne also Transzendenz-Maschinen: Nur ist das, was es zu transzendieren und damit zu beherrschen gilt, etwas sehr Abstraktes: die Verwicklungen der chinesischen zeitgenössischen Kultur. Oder sogar: die globale Gegenwart. In dem glänzenden Chrome der Halong Kellongs gelingt Shi Jinsong das schon ganz gut. Man schaut ihm auf jeden Fall gerne beim Lernen zu.
Fotos: Courtesy Shi Jinsong / Marta Herford
Erschienen in INTERSECTION Nr. 17